„Die Kirche steht nicht abseits“, so formulierte es Architekt Werner Düttmann noch in der Bauphase, „sie steht am Weg.“ Er kommentierte damit den Umstand, dass das neu geschaffene, heute unter Denkmalschutz stehende Gemeindezentrum von St. Agnes mit seinem insgesamt 5090 Quadratmeter großen Grundstück zwar einerseits das Herzstück der neuen Wohnsiedlung bildete, gleichsam aber nicht in ihrem Zentrum stand – Düttmann sah die Kirche viel eher als unaufdringliche, doch prominente Wegmarke, als Erkennungszeichen und gleichsam als ständige Einladung zum Näher- und Zusammenkommen.
Düttmann, der große Architekt der Berliner Nachkriegsmoderne, der hier in seiner Heimatstadt allein mehr als 70 Gebäude realisiert hat, darunter die Akademie der Künste, das Brücke Museum in Dahlem und die Bibliothek im Hansaviertel, dachte im umfassenden Gesellschaftsentwurf. Niklas Maak nennt ihn „einen Vordenker des Kollektiven“. Es ging um zukunftsweisende, die Stadt zum Wohle des Menschen öffnende und benutzbar machende Architektur frei von Ornament und Schnörkel. Es waren die Jahre des auf Hochtouren laufenden sozialen Wohnungsbaus, allein in den sechs Jahren seiner Regentschaft als Berliner Bausenatsdirektor entstanden rund 20.000 Wohnungen. Düttmanns Ziel: die Stadtgemeinschaft zu stärken, die Bürgerschaft als tatsächliches Kollektiv sichtbar zu machen.
Man kann die Außenraumwirkung des Gebäudeensembles von St. Agnes (insgesamt 3562 Quadratmeter) mit seiner klaren brutalistischen Formensprache und der eindeutigen und kompromisslosen Linienführung heute noch auf genau diese Weise erleben. Trotz ihrer enorm wuchtigen, monolithischen Gestalt stehen Gemeindezentrum, Kirchenbau und der 20 Meter hoch aufragende Turm überraschend dezent in der sie umgebenden Nachbarschaft. Martina Düttmann, die Ehefrau des Architekten, schrieb in dem Band „Werner Düttmann. Verliebt ins Bauen“ (Birkhäuser Verlag, 1990) über die ästhetische wie reale Funktion der Kirche: „Sie soll sich behaupten gegen die sie weit überragenden Bauten und als Gemeindezentrum die Menschen dennoch mit offenen Armen empfangen. Sie soll weltliche Gastlichkeit verbinden mit dem Abgesonderten, Geheiligten. Sie tut es.“
Für die Architektur der Nachkriegszeit ungewöhnlich, gruppierte Düttmann das gesamte Gemeindezentrum um einen rechteckigen, bepflanzten Innenhof, der von der Alexandrinenstraße aus durch einen überdachten Zugang erschlossen wird. Um den Hof herum positionieren sich wie stille Beobachter mehrere Gebäudekuben unterschiedlicher Höhe und Größe, sie beherbergten in ihrer ursprünglichen Funktion neben Kirche, Turm, Kapelle und Sakristei auch das zweistöckige Gemeindehaus mit Veranstaltungssaal und Gemeinderäumen, dazwischen eingespannt das ehemalige Pfarrhaus mit Gemeindebüros und Wohnungen für Pfarrer, Kaplan und Küster sowie im hinteren Teil des ehemaligen Gemeindesaals einen Kindergarten.
Das Kernstück, die Kirche, gab sich auch im Innenraum so streng und maximal reduziert wie das gesamte nach außen wirkende Ensemble. Kein Gold, kein Marmor, keine Fresken wie in der barocken Kirche, stattdessen eine klare, wie eine immense Schlucht aufschießende Basilika und der gleiche grobe Zementputzwurf der gesamten Außenhülle auch im Innenraum. Keine klassischen Fenster unterbrechen die rechtwinkligen Fassaden: Nur zwei hohe Fensterschneisen, 16 Meter aufschießend vom Boden bis zur Decke hinter dem Altar und am Aufgang zur einstmaligen Empore, sowie zwei parallel laufende Lichtbänder entlang der Dachkonstruktion lassen wechselndes Licht in die Halle strömen.
Ansonsten nur eindeutige Formen und Winkel, kaum endende Flächen, an denen sich der Blick verlor, und damals noch ein Boden aus Hirnholzpflaster – eine räumliche Überwältigung. Kein Wunder, dass das Bistum am 16. Mai 1966 bei der Einweihung der Kirche mit seinem Respekt einflößenden Turm stolz von einer neuen „Schutzburg“ sprach.
Werner Düttmann, der nach seiner Zeit als Senatsbaudirektor von 1971 bis zu seinem Tod 1983 als Präsident der Akademie der Künste agierte, gelang mit St. Agnes auch der Kreisschluss von Geschichte und Moderne. So ließ er die Wände der Seitenschiffe, also stets auf Sichthöhe der Kirchenbesucher, aus Trümmerschutt erbauen. Sie waren die Überreste der zerbombten Häuser der früheren Nachbarschaft eine Generation zuvor – Niklas Maak schreibt: „So sind auch die Geschichten und Dramen der Stadt, das Leben, das hier einmal stattfand, als abstraktes Erinnerungsbild, als Passionswand und Klagemauer aufgehoben.“
Nicht zuletzt wegen Bauten wie St. Agnes gilt Düttmann heute als einer der wesentlichen Protagonisten im deutschen Städtebau der Nachkriegsmoderne. Im Merkmalsbogen der Denkmalschutzbehörde liest man: „Das Gemeindezentrum St. Agnes ist als eine der bedeutendsten kirchlichen Anlagen der 1960er-Jahre in Deutschland erkannt worden. Es ist eine idealtypische Verkörperung des in den 1960er-Jahren in den beiden großen Kirchen entwickelten modernen Bautyps Gemeindezentrum. Düttmanns Bescheidenheit traf auf eine neue Bescheidenheit der Kirche.“