Als 1925 die katholische Gemeinde St. Agnes im nördlichen Kreuzberg aus der Taufe gehoben wurde, stand Berlins größte und wohl prominenteste Kirche, der Dom der Museumsinsel mit seinen immensen, Patina-behafteten Kuppeln, auch gerade erst 20 Jahre an Ort und Stelle – nur einen Steinwurf entfernt vom kürzlich wiedererrichteten Stadtschloss. Der preußische, also protestantische Kaiser Wilhelm II. hatte ihn für sich und seine mehrheitlich evangelischen Untertanen in der Hauptstadt errichten lassen.
Mit einem sehr viel weniger imposanten und überwältigenden Gotteshaus mussten sich die Gläubigen von St. Agnes zufriedengeben – ihnen blieb in den Jahren nach Gründung der Gemeinde nur ein zugiges Provisorium, ein umgebauter friderizianischer Reitstall in der Hollmannstraße, nahe der heutigen Lindenstraße. Dieser Teil Berlins an der Schnittstelle zwischen Halleschem Tor, Gitschiner Straße und Moritzplatz bildete bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die südliche Verlängerung der Stadtmitte mit Kammergericht und Zeitungsviertel. Noch heute ist er der geografische Mittelpunkt der Stadt.
Doch der Krieg änderte das Stadtbild und insbesondere Kreuzberg massiv. Die Bomben ließen von der westlichen Luisenstadt und seinem dichten Wohngebiet sowie von der benachbarten südlichen Friedrichstadt kaum etwas übrig, und spätestens seit Februar 1945 lag alles in Schutt und Asche. Auch das Kirchen-Provisorium von St. Agnes hatte den Krieg nicht überstanden, und von den einstmals 4000 Gemeindemitgliedern zählte man nach Kriegsende noch ganze 400.
Fast 15 Jahre lang lag das einstige Wohngebiet vollkommen brach, erst in den späten 50er-Jahren begann die Stadt auch hier mit dem Wiederaufbau. Nach einem Entwurf der Architekten Wils Ebert und Klaus Müller-Rehm entstand bis 1962 zwischen Alter Jakobstraße und Alexandrinenstraße mit dem „Spring-Projekt“ eine vor allem praktische, unprätentiöse Siedlung aus frei ins Gelände gesetzten, mehrheitlich acht- bis zehn-, teilweise auch 16-geschossigen Wohnbauten.
Die Gemeinde St. Agnes war daraufhin wieder langsam, aber stetig gewachsen, 1964 begann die konkrete Planung für den langersehnten Kirchenneubau. Mittlerweile war der Architekt, Stadtplaner und spätere Präsident der Akademie der Künste Werner Düttmann zum Berliner Senatsbaudirektor (1960–1966) berufen worden und hatte es als oberster Baubeamter der Stadt gleich selbst in die Hand genommen, auf der Alexandrinenstraße bis 1967 das neue modernistische Gemeindezentrum zu errichten.
Rasch wurde der hoch aufragende, monolithische Bau von den Gemeindemitgliedern und den Stadtbewohnern angenommen und immer populärer, wie der Architekturkritiker Niklas Maak (Frankfurter Allgemeine Zeitung) in einem Beitrag über Werner Düttmann für das KÖNIG MAGAZIN erklärte. Er schreibt: „Die Kirchgänger fanden hier etwas, das sie in der modernen Architektur sonst vermissten – das Raumgefühl und die mystische Atmosphäre alter, romanischer Kirchen.“
Mit der nahenden Jahrtausendwende aber hatte die Zahl der Gemeindemitglieder – wie in den allermeisten Metropolen auch – wieder stark abgenommen, sodass sich das Erzbistum Berlin zunehmend gezwungen sah, Pfarrgemeinden zusammenzulegen, Kirchen zu schließen, zu profanieren und zu vermieten. Im westlichen Kreuzberg betraf das die Gemeinden St. Bonifatius, St. Johannes und St. Agnes, sodass Letztere 2005 vollständig aufgegeben werden musste und ihre Gemeindeaktivitäten nach St. Bonifatius verlegte. Auch die Orgel, die fast 40 Jahre lang auf der Empore der Kirche gethront hatte, steht heute in St. Bonifatius.
Nach einigen Jahren unterschiedlicher Zwischennutzung erwarben 2012 Johann und Lena König als Geschäftsführer der St. Agnes Immobilien- und Verwaltungsgesellschaft mbH das Gemeindezentrum vom Erzbistum Berlin.